In unserem letzten Beitrag ging es um einzelne Personen, die die Demokratie des Grundgesetzes bekämpfen. Wir erinnern uns: Die freie Meinungsäußerung und die freie politische Willensbildung haben einen sehr hohen Stellenwert in der Verfassung und dürfen nur ausnahmsweise eingeschränkt werden. Weitaus größeren politischen Einfluss als Einzelpersonen haben Parteien als Organisationen. Ihnen kommt in der Demokratie des Grundgesetzes eine besonders wichtige Rolle zu. Sie kommen aus der Gesellschaft, also aus der Mitte der Wähler:innen und wirken so „bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“ (Artikel 21 Abs. 1 GG).
Obwohl oder gerade weil Parteien so eine wichtige Rolle für die Demokratie des Grundgesetzes spielen, können sie unter bestimmten Voraussetzungen verboten werden. Denn wie auch bei der Verwirkung von Grundrechten gilt: Wer die Freiheiten des Grundgesetzes dazu missbraucht, Demokratie, Rechtsstaat, Grund- und Menschenrechte zu bekämpfen, soll diese Freiheiten nicht uneingeschränkt für sich beanspruchen können.
Was bisher geschah und was jetzt diskutiert wird
Über das Verbot von Parteien entscheidet das Bundesverfassungsgericht. Den Antrag auf ein solchesVerfahren können der Bundestag, Bundesrat oder die Bundesregierung stellen. Beide Seiten – Antragstellende und Partei – haben dann vor dem Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit, sich zu den Gründen für und gegen ein Verbot zu äußern. Ist der Antrag erfolgreich und wird eine Partei verboten, darf diese nicht mehr bei Wahlen antreten und sie verliert ihre bestehenden Sitze im Parlament. Das Vermögen der Partei wird eingezogen und es darf keine Nachfolgeorganisationen geben, also Gruppierungen, die unter anderem Namen die politischen Ziele der verbotenen Partei weiterverfolgen.
In der Geschichte des Grundgesetzes gab es vier solcher Verfahren. In den 1950er Jahren wurde zuerst die Sozialistische Reichspartei (SRP) verboten, mit der die NSDAP als Partei des Nationalsozialismus politisch am Leben gehalten werden sollte. Kurz danach verbot das Bundesverfassungsgericht auch die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die enge Kontakte zur DDR-Führung pflegte und zum Sturz der damaligen Bundesregierung durch Revolution aufrief.
Die beiden ersten Verfahren spielten sich also vor mehr als 70 Jahren in einer ganz anderen Zeit ab. Bei den beiden letzten Verfahren dagegen ging es um das Verbot einer bis heute aktiven Partei, der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD, nun „Die Heimat“). Die politischen Ziele der NPD waren und sind unter anderem antisemitisch, islamophob, anti-ziganistisch und queerfeindlich. Im Jahr 2003 scheiterte ein Verbot daran, dass der Staat zu viele Mitarbeiter:innen des Geheimdienstes, also „eigene Leute“ zur Beschaffung von Informationen in die Partei einschleuste. Auch 2017 scheiterte ein Verbot der NPD, nun aber mit einer anderen Begründung. Die Partei war nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts mit Wahlergebnissen zwischen 0,1 % und 0,3 % einfach zu unbedeutend, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele in die Tat umzusetzen. Zum Vergleich: Der Alternative für Deutschland (AfD), deren Verbot aktuell diskutiert wird, würden derzeit ungefähr 20 % aller Wahlberechtigten ihre Stimme geben.
Das Problem der „Potentialität“
Hinter der Begründung, dass die NPD im Jahr 2017 zu unbedeutend für ein Verbot war, steckt das Problem der „Potentialität“ einer Partei. In Art. 21 Abs. 2 GG heißt es:
„Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen […], sind verfassungswidrig.“
Es geht hier um die zwei Worte „darauf ausgehen“. Mit dem Verbot von Parteien sollen Gefahren für die Demokratie des Grundgesetzes, also für den Staat, in dem wir leben, abgewehrt werden. Um den Staat in seiner jetzigen Form zu gefährden, muss eine Partei mit ihrer Größe und ihrem Einfluss aber überhaupt in der Lage sein, ihre politischen Ziele zu erreichen. Für eine Partei mit 0,3 % Stimmanteil liegt das in weiter Ferne.
Die „kleine Schwester“ des Parteiverbots
Es kann deshalb Parteien geben, die zwar ganz klar verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, aber nicht verboten werden können. Nach dem zweiten erfolglosen Verbotsverfahren gegen die NPD wurde deshalb in Artikel 21 Abs. 3 GG eine weitere Möglichkeit eingeführt, gegen verfassungsfeindliche Parteien vorzugehen. Parteien, denen die Potentialität fehlt, die aber klar verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, können von der staatlichen Finanzierung ausgeschlossen werden. Der Staat finanziert Parteien je nach ihrem Erfolg bei Wahlen und je nach Höhe der von ihnen selbst eingeworbenen Geldern. Am 23. Januar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass Die Heimat bzw. die ehemalige NPD für sechs Jahre keine staatlichen Gelder erhält.
Verbot der AfD? – Der Ball liegt bei der Politik
Die rechtliche Entscheidung über ein Verbot der AfD liegt allein in den Händen des Bundesverfassungsgerichts. Dieses Verfahren durch einen Antrag anzustoßen, ist dagegen eine politische Entscheidung, die von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung als möglichen Antragstellenden getroffen werden muss. Hierfür wird mit Sicherheit entscheidend sein, wie sich die öffentliche Debatte zur AfD entwickelt. So oder so werden verfassungsfeindliche Tendenzen also zuerst und vor allem in der politischen Auseinandersetzung selbst zu bekämpfen sein.