Rund zwölf Millionen deutsche Staatsangehörige haben einen Migrationshintergrund. Ein Großteil von ihnen ist bereits in Deutschland geboren. Dennoch wird in politischen Debatten immer wieder diskutiert, ob sie ihre Staatsbürgerschaft behalten dürfen. Dieser Beitrag soll zeigen, wie Artikel 16 des Grundgesetzes (GG) sie schützt.
Die politische Debatte
Die Parole „Ausländer raus“ und ihr vermeintlich kultivierter Zwilling „Remigration“ werden schon seit Jahrzehnten von rechtsextremen Organisationen ausgegeben. Sie meinen damit nicht nur ausländische Staatsangehörige, sondern alle Menschen, die eine andere Hautfarbe, Religion oder Herkunft haben als die Mehrheitsgesellschaft. Der steigende Zuspruch für rechtsextreme Organisationen bereitet daher vielen Deutschen mit Migrationshintergrund Angst.
Mittlerweile stellen auch konservative Politikerinnen und Politiker die Staatsbürgerschaft von Eingebürgerten infrage – wenn auch weniger drastisch. So forderte der Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz jüngst: Deutschen Staatsangehörigen, die nach ihrer Einbürgerung zweimal straffällig geworden sind, solle man die Staatsbürgerschaft entziehen können. Der Fehler der Einbürgerung müsse korrigiert werden können. Die Türkische Gemeinde in Deutschland kritisierte, Menschen mit Migrationsgeschichte würden dadurch zu Deutschen „auf Bewährung”.
Das sagt das Grundgesetz
Art. 116 Abs. 1 des GG definiert:
„Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist […], wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt […].“
Dabei darf der Gesetzgeber bestimmen, wer die deutsche Staatsangehörigkeit erhält und damit Deutscher ist. Der Begriff des Volkes orientiert sich im Grundgesetz nicht an ethnischen Kategorien.
Wer die deutsche Staatsangehörigkeit bereits hat, wird durch Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Dieser lautet:
„Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“
Dieses Grundrecht stellt eine Reaktion auf die willkürliche Entziehung der Staatsangehörigkeit in der Zeit des Nationalsozialismus dar. Damals wurden insbesondere Jüdinnen und Juden aus „rassischen“ Gründen zwangsweise ausgebürgert. Auch andere Personen, die nicht in das nationalsozialistische Weltbild passten, waren betroffen. Hierunter fielen auch Politiker, etwa der spätere Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Willy Brandt.
Die Mütter und Väter des Grundgesetzes wollten den Betroffenen die Möglichkeit geben, ihre Staatsbürgerschaft zurückzubekommen. Deshalb legten sie in Art. 116 Abs. 2 GG fest:
„Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. […]“
Trotzdem verbietet das Grundgesetz eine zwangsweise Ausbürgerung nicht ausnahmslos. In Art. 16 Abs. 1 Satz 2 GG heißt es:
„Der Verlust der Staatsangehörigkeit darf nur auf Grund eines Gesetzes und gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird.“
Der Gesetzgeber darf also die Ausbürgerung unter bestimmten Voraussetzungen erlauben. Dabei muss er jedoch – wie immer – den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Es müssen also legitime Interessen verfolgt werden, die wichtiger sind als das Grundrecht des betroffenen Staatsbürgers aus Art. 16 Abs. 1 Satz 1 GG. Außerdem darf die ausgebürgerte Person nicht staatenlos werden. Sie darf also nur ausgebürgert werden, wenn sie neben der deutschen noch eine verbleibende zweite Staatsbürgerschaft besitzt.
Das sagt das Bundesverfassungsgericht
Das Bundesverfassungsgericht bestimmt, wie unser Grundgesetz ausgelegt wird. In dieser Rolle hat es zu Art. 16 GG entschieden, dass die deutsche Staatsbürgerschaft nur aufgrund von Handlungen entzogen werden darf, welche die betroffene Person zumutbar vermeiden könnte.
Es wäre also unzulässig, die Staatsbürgerschaft aufgrund von Eigenschaften zu entziehen, die Bürgerinnen und Bürger gar nicht beeinflussen können – etwa ihre Hautfarbe oder Herkunft. Außerdem gibt es besonders geschützte Handlungen, wie die Religionsausübung oder die politische Betätigung, die nicht “zumutbar vermieden” werden können. Aus ihnen darf also ebenfalls nicht der Verlust der Staatsbürgerschaft folgen.
Aktuell geregelte Möglichkeiten der Ausbürgerung
Aktuell kann die deutsche Staatsangehörigkeit in wenigen Ausnahmefällen wegfallen. Hierzu regelt § 17 Abs. 1 Nr. 1 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG), dass man auf die deutsche Staatsangehörigkeit verzichten kann. Außerdem regelt § 17 Abs. 1 Nr. 2 StAG, dass die deutsche Staatsangehörigkeit durch den Eintritt in die Streitkräfte eines ausländischen Staates oder durch die konkrete Beteiligung an Kampfhandlungen einer terroristischen Vereinigung im Ausland verloren geht.
Der Gesetzgeber bewertet ein solches Verhalten als Ausdruck einer Abwendung von Deutschland. Die genannten Gründe gelten gleichermaßen für (später) eingebürgerte Staatsangehörige und für solche, die mit Geburt staatsangehörig sind. Eine Ausbürgerung aufgrund rein innerstaatlicher Sicherheitserwägungen ist dem Staatsangehörigkeitsgesetz (bisher) fremd.
Ausbürgerung straffälliger Eingebürgerter zulässig?
Zunächst einmal lässt sich festhalten, dass es zumutbar ist, strafbare Handlungen zu vermeiden. Dann dürfte das Bundesverfassungsgericht doch eigentlich nichts gegen den Vorschlag einzuwenden haben, dass Eingebürgerte ihre Staatsbürgerschaft wieder verlieren sollen, nachdem sie straffällig geworden sind, oder?
Vielleicht doch, denn es sprechen gute Gründe gegen den Vorschlag. Er benachteiligt nämlich einseitig diejenigen, die nicht von Geburt an deutsche Staatsangehörige sind. Sie müssten künftig damit rechnen, nicht „nur“ nach dem Strafgesetzbuch – etwa durch Freiheitsentziehung – bestraft zu werden, sondern zusätzlich nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz – durch Ausbürgerung. Hierdurch würde eine Zweiklassen-Staatsangehörigkeit entstehen. Das Grundgesetz unterscheidet aber nicht zwischen „echten Deutschen“ und „Deutschen auf Widerruf“. Wir erinnern uns:
„Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist […], wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt […].“
Wie das Bundesverfassungsgericht letztlich entscheiden würde, ist aktuell schwer einzuschätzen. Dafür sind die Vorschläge nicht konkret genug.
Leseempfehlungen:
- Christian Rath, Können kriminelle Doppelstaatler ausgebürgert werden?, 06.01.2025
- LTO-Podcast: „Die Rechtslage“, Folge 23, Minute 01:13-11:55, 11.01.2025, abrufbar unter Die Rechtslage: Merz Ausbürgerungsidee verfassungswidrig?
- BVerfG, Urteil vom 24. Mai 2006 – 2 BvR 669/04.
- BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13.