Wann der Staat gegen rechtsextreme Meinungsäußerungen vorgehen darf und warum das Deine Gegenrede nicht entbehrlich macht

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In unserer Reihe „Was macht die Demokratie des Grundgesetzes wehrhaft?“ habt Ihr bereits gelernt, dass sich das Konzept der wehrhaften Demokratie aus dem Parteiverbot und der Verwirkung von Grundrechten herleiten lässt. In einem Blogeintrag anlässlich des Gedenkens an die Pogrome vom 9. November 1938 wurde außerdem herausgearbeitet, dass das Grundgesetz einen Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Unrechtsstaat darstellt. Passend dazu nannte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth das Grundgesetz letztes Jahr in einer Rede ein in 146 Verfassungsartikel gegossenes „Nie wieder“.

Die „Wunsiedel-Entscheidung“

Kompliziert wird es, wenn dieses „Nie wieder“ durch die Ausübung eines Grundrechts infrage gestellt wird, welches das Grundgesetz gerade garantieren möchte. Mit einem solchen Fall musste sich das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2009 beschäftigen:

In der bayrischen Stadt Wunsiedel sollte eine öffentliche Veranstaltung unter dem Motto „Gedenken an Rudolf Heß – Seine Ehre galt ihm mehr als die Freiheit“ stattfinden.

Rudolf Heß war überzeugter Antisemit, Nationalsozialist der ersten Stunde und von 1933 – 1941 Stellvertreter Hitlers. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt. Konfrontiert mit den Schrecken des Holocaust zeigte er keine Reue. Hitler bezeichnete er als den „größten Sohne […], den mein Volk in seiner tausendjährigen Geschichte hervorgebracht hat“.

Das zuständige Landesratsamt hat die Veranstaltung verboten. Dabei hat es sich insbesondere auf § 130 Abs. 4 des Strafgesetzbuches (StGB) berufen, der unter weiteren – hier erfüllten – Voraussetzungen eine Strafe androht, wenn man die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt.

Der Veranstalter sah sich durch das Verbot seiner Veranstaltung und § 130 Abs. 4 StGB in seiner Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG) verletzt.

Das Grundgesetz schützt grundsätzlich auch seine Feinde

Eine nationalsozialistische Gesinnung verbietet das Grundgesetz in der Tat nicht. Es vertraut vielmehr auf die Kraft der freien Auseinandersetzung; diese sei die wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien. Wir können uns in der Demokratie des Grundgesetzes also nicht einfach zurücklehnen, sondern müssen uns aktiv einbringen, wenn wir sie gegen ihre Feinde verteidigen wollen.

Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 des Grundgesetzes hat jeder das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Das bedeutet, dass man eine Meinung haben darf und sie erst einmal frei und auf verschiedene Weise äußern kann. Inhaltlich wird dabei zunächst nicht darauf geachtet, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational ist oder als gefährlich oder harmlos eingeschätzt wird. Deshalb schützt die Meinungsfreiheit grundsätzlich selbst die Verbreitung von nationalsozialistischem Gedankengut. Der Gesetzgeber darf diese nicht per se verbieten.

Der Schutz der potenziellen Opfer geht vor

Uneingeschränkt dulden muss er sie aber auch nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Staat die Meinungsfreiheit einschränken darf, insoweit ansonsten zu befürchten wäre, dass den Worten auch konkrete Taten folgen. Denn die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft kann die Sicherheit von Jüd*innen, Menschen mit Behinderung und vielen weiteren Gruppen gefährden. Dagegen soll der Staat effektiv vorgehen können.

Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb in seiner Entscheidung eine Begrenzung der Meinungsfreiheit zugelassen: das Recht auf freie Meinungsäußerung kann dort eingeschränkt werden, wo jemand durch eine Äußerung 

  • Handlungsbereitschaft – etwa bei potenziellen Gewalttäter*innen – auslöst, 
  • beziehungsweise die Hemmschwelle hierzu senkt oder
  • Dritte – insbesondere im Nationalsozialismus verfolgte Menschengruppen – unmittelbar einschüchtert.

Eine positive Bewertung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes – oder einer hierfür stehenden Symbolfigur wie Rudolf Heß – habe regelmäßig genau diesen Effekt. Eine solche Form der Meinungsäußerung wirke angesichts der deutschen Geschichte als Angriff gegen diejenigen Gruppen, die unter dem NS-Regime besonders leiden mussten. Solche Äußerungen stellen ihren Wert als Mensch und ihre Rechte erneut in Frage.

Die wehrhafte Demokratie braucht Euch

Das Wunsiedel-Urteil zeigt uns anhand eines ganz konkreten Falles die Wehrhaftigkeit des Grundgesetzes auf. Das Bundesverfassungsgericht hat bei dieser Gelegenheit aber auch deutlich gemacht, dass es in erster Linie uns Bürger*innen obliegt, den Gefahren entgegenzutreten, die mit rechtsextremen Einstellungen einhergehen. Die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi fand hierzu Anfang des Jahres bei einer Rede im Deutschen Bundestag mahnende Worte: „Die Shoah begann nicht mit Auschwitz. Sie begann mit Worten. Sie begann mit dem Schweigen und dem Wegschauen der Gesellschaft.“

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