Nach jeder Bundestagswahl stellt sich als erstes die Frage, welche Fraktionen die neue Regierung bilden und welche von ihnen den/die neue:n Bundeskanzler:in stellt. Doch was ist mit den restlichen Fraktionen? Spielen diese in den folgenden vier Jahren keine Rolle? Weit gefehlt, ihnen fällt die entscheidende Rolle der Opposition zu. Diese ist als Gegengewicht zur Regierungskoalition ein wichtiger Grundpfeiler unserer Demokratie.
Opposition als „Gegenspieler“ zur Regierung
Abgeleitet von dem lateinischen Wort „oppositio“ für „das Entgegensetzen“ meint Opposition übertragen auf den Bundestag diejenigen, die sich der Regierung „entgegensetzen“. Dabei handelt es sich um die nicht regierenden Fraktionen im Bundestag. Fraktionen sind Zusammenschlüsse von Abgeordneten aus der gleichen Partei oder mit ähnlichen Zielen. Diese leisten zwar keinen aktiven Widerstand gegen die Regierung, aber sie haben die Aufgabe, die Regierungsarbeit zu hinterfragen, herauszufordern und vor allem zu kontrollieren. Dabei vertreten die Oppositionsfraktionen immer wieder ihre eigene Meinung zu einem bestimmten Handeln der Regierung. Sie sorgen so für eine Vielfalt an Meinungen im Parlament. Das ermöglicht den Bürger:innen auch während der Legislaturperiode eine Einschätzung der politischen Lager für künftige Wahlentscheidungen. Denn bei der nächsten Wahl hat die Minderheit wieder die Möglichkeit, die Mehrheit zu werden. Das ist ein wichtiges Prinzip unserer Demokratie: Mehrheiten und Minderheiten müssen sich jederzeit ändern können. Dafür muss die Minderheit auch während der Legislaturperiode sichtbar und hörbar für die Bürger sein.
Die Opposition ist für unsere Demokratie deswegen so wichtig, weil sie der „Gegenspieler“ zur Regierung ist. Das zeigt sich insbesondere in der Kontrolle der Regierung. Denn die Regierung muss sich dem Parlament gegenüber für ihre Handlungen rechtfertigen und im Zweifel erklären. Die Regierungsfraktionen werden dabei in der Regel der von ihnen gestellten Regierung weniger stark auf die Finger schauen. Diese steht schließlich „in ihrem Lager“. Die Oppositionsfraktionen dagegen sind meist kritischer und können daher besser eine echte Kontrolle der Regierung ausüben. Denn sie sind interessiert daran, Fehler der Regierung aufzudecken, um in Zukunft eine Chance zu haben, selbst zu regieren.
Für die Kontrolle stehen den Abgeordneten in der Opposition bestimmte „Instrumente“ im Grundgesetz zur Verfügung. Diese Instrumente können grundsätzlich alle Abgeordneten im Parlament ausüben, aber für die Opposition sind sie besonders wichtig. Im Folgenden werden einzelne der Instrumente näher betrachtet.
Das Zitierrecht, Art. 43 Abs. 1 GG
Dahinter verbirgt sich das Recht des Bundestages oder eines Ausschusses, die Anwesenheit jedes Mitglieds der Regierung zu verlangen. Durch das Herbeirufen von Bundeskanzler:in oder Minister:innen soll den Abgeordneten im Parlament ermöglicht werden, jederzeit Informationen über die Tätigkeit der Regierung zu erhalten (ein anderes Wort dafür wäre „Herzitieren“, womit sich der Name „Zitierrecht“ erklärt). Denn bei Anwesenheit des/der Herbeigerufenen kann dieser/diese Fragen beantworten und so kann das Parlament oder einer der Ausschüsse mithilfe dieser Informationen besser das Handeln der Regierung kontrollieren. Kontrollieren der Regierung meint dabei, dass beispielsweise Widersprüche zwischen Aussagen und Handlungen der Regierung aufgedeckt werden, fehlende Informationen bei der Regierung festgestellt werden und die Opposition merkt, wo sie weiter nachforschen und nachfragen muss. Bei den Fragen der Opposition an die Regierung spielt das Fragerecht eine große Rolle, das im nächsten Punkt erläutert wird.
Das Fragerecht, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG
Das Fragerecht wird aus dem freien Mandat abgeleitet. Freies Mandat meint, dass jede:r Abgeordnete das ganze Volk vertritt, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur dem eigenen Gewissen unterworfen ist. So steht es im Grundgesetz. Daher müssen alle Abgeordneten ihre Aufgaben im Parlament nach bestem Wissen und Gewissen ausüben und sind an keine Vorgaben, auch nicht die der eigenen Partei, gebunden.
Zu den Aufgaben von Abgeordneten gehört die Kontrolle der Regierung. Damit die Kontrollaufgabe gut erfüllt werden kann, müssen alle Abgeordneten genügend Informationen über das Handeln der Regierung haben. Sollten ihnen nicht genügend Informationen zur Verfügung stehen, muss es ein Frage- bzw. Informationsrecht geben, um die nötigen Informationen von der Regierung zu verlangen. Die Regierung muss wahrheitsgemäß antworten. Somit wird aus dem freien Mandat ein Fragerecht aller Abgeordneten an die Regierung abgeleitet, um Kontrolle durch die Opposition zu ermöglichen. Dieses Befragen der Regierung ist damit durch das Grundgesetz besonders geschützt.
Trotzdem muss es für das Fragerecht bestimmte Grenzen geben. Nicht jeder/jede Abgeordnete kann die Regierung alles Mögliche fragen. Zum Beispiel muss sich die Frage mit einem Thema beschäftigen, das überhaupt in den Aufgabenkreis der Bundesregierung fällt. Das wäre etwa nicht der Fall, wenn es sich um eine Frage zum Schulsystem handeln würde, also beispielsweise, ob es G8 oder G9 gibt oder ob Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen weiter getrennt werden sollen. Denn Schulen werden von den Ländern geregelt und der Bund kann nicht für ganz Deutschland das Schulsystem festlegen. Eine Frage dazu wäre daher nicht zulässig.
Zu den Grenzen gehört insbesondere der „Kernbereich“ des Regierungshandelns. Es muss also irgendeinen Bereich in der Arbeit der Regierung geben, der nicht vom Parlament durch die Abgeordneten ausgeforscht werden kann. Dieser Begriff ist leider sehr schwammig. Vor allem versteht man darunter, dass keine Fragen zu noch laufenden Vorgängen in der Regierung gestellt werden können. Denn dadurch entstünde die Gefahr, dass die Abgeordneten nicht nur kontrollieren, sondern mitregieren. Es darf daher nur zu abgeschlossenen Vorgängen aus der Vergangenheit gefragt werden. So können die fragenden Abgeordneten sich nicht direkt in das Regieren einmischen.
Eine weitere Grenze stellt das „Staatswohl“ dar. Auch dieser Begriff ist sehr weit und unverständlich. Er meint im Kern, dass es Informationen aus der Regierung geben kann, die aus verschiedenen Gründen besser nicht öffentlich werden, zum Beispiel weil sie die Stabilität unseres politischen Systems gefährden würden.
Schließlich stellen die Grundrechte Dritter, also Außenstehender, eine Grenze dar. Die Regierung kann keine Informationen preisgeben, die in die Rechte anderer Menschen eingreifen, weil diese Menschen vermutlichen nicht möchten, dass persönliche Informationen offengelegt werden oder weil sie hierdurch sogar gefährdet werden könnten. Insbesondere kann in solchen Fällen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt sein, das jeder Mensch hat. Es kann aber auch das Informationsinteresse der Abgeordneten höher zu werten sein als das Geheimhaltungsinteresse des Betroffenen.
Sollte die Regierung einmal ungerechtfertigt einer Frage der Abgeordneten nicht nachkommen, können diese die Antwort vor dem Bundesverfassungsgericht einklagen.
Untersuchungsausschuss, Art. 44 GG
Ein weiteres wichtiges Kontrollrecht der Opposition im Parlament ist das Recht, einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Mindestens ein Viertel der Bundestagsabgeordneten kann sich zusammenschließen und fordern, dass ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wird und so unklare Vorgänge aus der Regierungsarbeit untersuchen lassen. In einem Untersuchungsausschuss soll der unklare Sachverhalt dann ermittelt werden. Der Untersuchungsausschuss hat dabei ähnliche Befugnisse wie ein Gericht. Er kann Zeugen anhören und Akten von der Bundesregierung herausverlangen. Untersuchungsausschüsse sind das schärfste Schwert der Minderheit im Parlament. Denn häufig wird in den Medien viel darüber berichtet und das kann großen Druck auf das Regierungsmitglied ausüben, das kontrolliert wird.
Ausblick
Jede neue Regierung muss effektiv von der Opposition kontrolliert werden. Darin ist eine zentrale Säule unserer Demokratie zu sehen, weil sich die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament in der Kontrolle durch die Abgeordneten zeigt. Man darf gespannt sein, zu welchen Instrumenten die nächste Opposition greifen wird, um ihre Kontrollaufgabe möglichst gut zu erfüllen. Das Grundgesetz hält jedenfalls einige bereit.