Am 24.03.2021 veröffentliche das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung, die es in sich hat. Die Richter:innen stellten fest, dass das Klimaschutzgesetz (nachfolgend KSG) verfassungswidrig ist. Durch ihre Entscheidung verpflichtet Karlsruhe den deutschen Gesetzgeber bis zum 31.12.2022 ein Klimaschutzgesetz zu erlassen, das mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Der Beschluss ist selbst für Jurist:innen keine leichte Kost. Deswegen habe ich mich mit meiner ehemaligen Kommilitonin Janna getroffen, die im Umweltrecht promoviert und mir alle Fragen rund um die Entscheidung beantworten konnte. Unser gesamtes Gespräch habe ich aufgeschrieben und ihr könnt es hier lesen. In diesem Beitrag möchte ich die wichtigsten Gesprächspunkte zusammenfassen.
Zunächst hat mir Janna erklärt, was es mit dem KSG überhaupt auf sich hat. Das Gesetz setzt die Verpflichtung des Pariser Klimaabkommens in nationales Recht um. Das bedeutet, dass Deutschland sich verpflichtet, seinen Teil dazu beizutragen, dass die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius begrenzt wird, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. Dafür budgetiert das Gesetz den CO2-Ausstoß verschiedener Emittenten, wie z.B. der Industrie oder der Landwirtschaft.
Den Beschwerdeführenden gingen die Regelungen des KSG allerdings nicht weit genug. Sie rügten u.a., dass der Verbrauch des im KSG aufgestellten CO2-Budgets bis 2030 dazu führe, dass Deutschland bereits 2030 fast sein gesamtes CO2-Budget aufgebraucht haben werde. Ein Festhalten an dem 1,5-Grad-Ziel hätte somit zur Folge, dass wir ab 2031 drastische Einschränkungen zu Gunsten des Klimaschutzes hinnehmen müssten. Ganz plakativ gesprochen, drohe ein Szenario, indem keine Flugreisen mehr möglich seien und die Autos stehen blieben.
Das Bundesverfassungsgericht stimmte dieser Analyse zu. Darüber hinaus hat es erklärt, dass Art. 20a GG den deutschen Staat sogar dazu verpflichtet, das 1,5-Grad-Ziel oder zumindest ein vergleichbar effektives Ziel einzuhalten, um zukünftigen Generationen ausreichende Lebensgrundlagen zu erhalten. Diese Verpflichtung wiege schwerer, wenn der Klimawandel fortschreite.
Das bedeutet, dass der Staat bei Entscheidungen, die unumstößliche Auswirkungen auf die Zukunft haben, wie z.B. der Verbrauch unseres endlichen CO2-Budgets, auch die Freiheitsrechte der Bürger:innen in der Zukunft berücksichtigen muss. Um im plakativen Beispiel zu bleiben, um Flug- und Autoverbote im Jahr 2031 zu verhindern, müssen wir bereits jetzt unseren CO2-Ausstoß reduzieren, damit wir in Zukunft auch noch etwas verbrauchen können. Dies erfolgt vor dem Hintergrund der langfristig angestrebten CO2-Neutralität.
Diese Überlegung des Bundesverfassungsgerichts, also die Abwägung von Freiheitsrechten in der Gegenwart mit Freiheitsrechten in der Zukunft, nennt es „intertemporäre Freiheitsrechte“. Die Methode ist sicherlich kompliziert, aber die dem Konzept zugrundeliegende Idee klingt einleuchtend: Meine heutige Freiheit kann und ggf. muss eingeschränkt werden, um die Freiheit von anderen in der Zukunft zu ermöglichen.
Janna findet den Beschluss methodisch konsequent und nachvollziehbar. Sie glaubt, dass aufgrund der Ideen, die das Bundesverfassungsgericht darin formuliert hat, viele weitere Klimaklagen zu erwarten sind. Der Rechtsschutz vor staatlichen Maßnahmen, die unsere Umwelt belasten, ist aufgrund der Entscheidung deutlich verbessert worden.
Das Gespräch mit Janna hat mir viel Spaß gemacht. Ich habe eine Menge über unsere Verfassung gelernt und die Verantwortung meines Staats gegenüber zukünftigen Generationen – und damit auch gegenüber mir persönlich. Schließlich ist das Jahr 2030 nur noch gute acht Jahre entfernt.
Wen es interessiert, wie Grundrechte eigentlich eingeschränkt werden können, kann das hier nochmal nachlesen.