Die „Spielregeln“ unserer Wahlen

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„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt.“ In Art. 38 des Grundgesetzes finden wir die Voraussetzungen, die alle Wahlen unbedingt erfüllen müssen. Manche dieser sogenannten Wahlrechtsgrundsätze empfinden wir als selbstverständlich, zum Beispiel eine freie Entscheidung ohne Druck von außen treffen zu können. Bei anderen Voraussetzungen hat sich das Grundgesetz bewusst für eine von mehreren Möglichkeiten entschieden, zum Beispiel gegen den Einsatz von Wahlleuten wie in den USA. In jedem Fall lohnt es sich, die „Spielregeln“ zu kennen, die für unsere Wahlen immer gelten. Ihre Einhaltung ist ein wichtiges Zeichen für eine funktionierende Demokratie. 

Allgemein

Wie wir in der Gesellschaft wahrgenommen werden, hängt von vielen Faktoren ab. Dazu können der Beruf, das Einkommen und die Bildung genauso zählen wie Religion und Geschlecht eines Menschen. Unser Recht zu wählen dagegen muss „allgemein“ sein, darf also nicht von diesen gesellschaftlichen Merkmalen abhängen. Das erscheint uns heute völlig klar, war aber in der Geschichte keineswegs immer der Fall: Bis vor etwas mehr als hundert Jahren zum Beispiel durften in Deutschland nur Männer an Wahlen teilnehmen, Frauen wurde dieses Recht erst ab 1918 gewährt.

Eine wichtige Ausnahme von dem Grundsatz der allgemeinen Wahl ist das Mindestalter von 18 Jahren. Über diese Grenze wird immer wieder diskutiert – in unserem Artikel zum Wahlrecht ab 16 haben wir Gründe für und gegen die jetzige Regelung gesammelt. Eine weitere Ausnahme wird bei der Nationalität gemacht: An Bundes- und Landtagswahlen dürfen nur deutsche Staatsbürger teilnehmen, an Kommunalwahlen dagegen auch EU-Bürger.

Unmittelbar – das „letzte Wort“ der Wähler:innen

Unmittelbarkeit bedeutet, dass allein die Stimmen der einzelnen Wähler:innen über das Ergebnis entscheiden, ohne dass eine weitere Stelle dazwischentritt. Die Wahlberechtigten haben also das „letzte Wort“ bei der Auswahl ihrer Abgeordneten. Dass demokratische Staaten sich hier auch für ein anderes Modell entscheiden können, zeigt das Beispiel der USA. Dort wählt das Volk zunächst sogenannte Wahlleute, deren Stimmen anschließend über die Zusammensetzung des Parlaments entscheiden.

Frei – ohne Druck von außen

Während es zu unmittelbaren Wahlen also Alternativen gibt, ist eine Demokratie ohne freie Wahlen kaum vorstellbar. Wähler:innen dürfen bei ihrer Entscheidung von keiner Seite unter Druck gesetzt werden, weder vom Staat selbst, noch etwa von einer Partei, einem Unternehmen, der Schule oder dem heimischen Sportverein. Gegen diesen Grundsatz wird offensichtlich verstoßen, wenn beispielsweise einem Angestellten bei der „falschen“ Wahlentscheidung die Kündigung droht oder das Personal im Altenheim heimlich den Wahlzettel einer Bewohnerin ausfüllt. Weniger offensichtlich erscheint uns vielleicht das Verbot, den eigenen, fertig angekreuzten Stimmzettel als Foto zu veröffentlichen. Damit soll verhindert werden, dass Wähler:innen ihre Stimme zum Beispiel an ein Unternehmen verkaufen und der abfotografierte Stimmzettel diesem Unternehmen als „Quittung“ für die eingehaltene Absprache dient. Heißt das, ich muss meine Wahlentscheidung zu jeder Zeit für mich behalten? Nein, wir können in jeder Umfrage, jedem Instagrampost und jedem Gespräch im Freundeskreis erzählen, Kandidat:in oder Partei x zu wählen – und es uns in der Wahlkabine dann neu überlegen. Denn allein für diese Entscheidung, die beiden Kreuze auf dem Stimmzettel, darf es keinen Beleg geben.

Gleiche Chance für alle Stimmen

Wahlen müssen gleich sein. Das bedeutet zunächst einmal, dass jede abgegebene Stimme gleichviel zählt („one man – one vote“). Heißt: Die Stimme meiner Nachbarin zählt nicht doppelt, weil sie mehr Steuern zahlt als ich oder sich besonders für die Gemeinde engagiert. Eltern bekommen keine zusätzliche Stimme für jedes ihrer Kinder, obwohl diese Kinder unter 18 Jahren nicht selbst wählen dürfen. Gleichheit bedeutet außerdem, dass jede abgegebene Stimme die gleiche Chance auf politischen Erfolg hat, also am Ende zu einem Sitz im Parlament beizutragen. In der Realität kann das dazu führen, dass Stimmen im Ergebnis unterschiedlich „erfolgreich” sind: Obwohl meine Stimme und die meiner Nachbarin gleichviel zählen, kann es sein, dass sich nur ihre Stimme am Ende im Parlament wiederfindet, weil ich eine Partei gewählt habe, die an der „5%-Hürde“ gescheitert ist und es darum nicht in den Bundestag geschafft hat. An welchen anderen Stellen die Gleichheit der Wahl die Sitzverteilung im Parlament beeinflusst, könnt ihr in unserem Blogartikel „Deine Vertretung in Berlin“ nachlesen.

Geheim – und öffentlich?

Damit Wahlentscheidungen frei von äußerem Druck getroffen werden können, sollen weder der Staat noch andere Private feststellen können, wie sich die einzelne Person entschieden hat. Auf dieses Recht können wir als Wähler:innen auch nicht verzichten, darum verstößt der ausgefüllte und veröffentlichte Stimmzettel als „Quittung“ auch gegen diesen Grundsatz. Geheime Wahlen werden im Regelfall, dem „Gang zur Urne“, durch abgeschirmte Wahlkabinen, anonymisierte Stimmzettel und die Aufbewahrung in der speziell verschlossenen Wahlurne sichergestellt. Auch Briefwahlen sind so organisiert, dass niemand die Stimmzettel bestimmten Personen zuordnen kann – mehr dazu erfahrt ihr in unserem Artikel „Wählen auf Abstand“.

Ein weiterer Wahlrechtsgrundsatz, der nicht direkt im Text des Grundgesetzes steht, ist die Öffentlichkeit der Wahl. Das scheint im ersten Moment ein Widerspruch zur geheimen Wahl zu sein, bedeutet aber nur, dass jeder Schritt der Wahl, also der organisatorische Ablauf an sich nachvollzogen werden kann. Aus diesem Grund gibt es bislang beispielsweise keine „Online-Wahlen“, weil Menschen die technischen Vorgänge von außen (noch) nicht zuverlässig genug überprüfen können.

Und wenn die Spielregeln nicht eingehalten werden?

Jede wahlberechtigte Person kann mit der Begründung, dass gegen die Wahlrechtsgrundsätze verstoßen wurde, Einspruch beim Bundestag erheben. Kommt der Bundestag nach eigener Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Wahl gültig ist, kann wiederum jede wahlberechtigte Person gegen diese Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Das Gericht entscheidet dann, ob tatsächlich gegen die Wahlrechtsgrundsätze verstoßen wurde und dieser Verstoß so schwer wiegt, dass die gesamte Wahl „rückgängig“ zu machen ist.